Fell und Wut
Entre nous, Julia Weber!
Julia, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
In meinem Atelier in der roten Fabrik mit Blick auf den See. Im Haus meiner Eltern in den Bergen, in Mon, es hat eierschalenweisse Mauern und dunkelgrüne Fensterläden und manchmal steigt der Nebel von unten im Tal herauf bis vor die Fenster des Hauses. Dann ist alles Grau.
Dann auch während der Pandemie, genau an jenen Orten, immer zwischendurch, wenn kurz Ruhe war, zwischen Tisch abräumen und Kinder küssen und am Abend mit Schokolade und Wein.
Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Es geht um vieles. Es ist sehr verschlungen. Ich habe es mit einem andauernden starken Gefühl gegenüber Weiblichkeit, Traurigkeit, meiner Wut und meiner Mutterschaft geschrieben und immer versucht, diesem Gefühl dann Worte zu geben. Es geht um das Nicht- Hineinpassen in eine Norm. Um das Funktionieren müssen in der Gesellschaft, um ein nützlicher, wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein. Es geht um eine Traurigkeit, die ein Fell hat. Es geht um das Optimieren der Menschen und eine Traurigkeit, die in diesem permanenten Optimieren existiert, aber ihren Platz nicht haben darf. Es geht um Weiblichkeit. Um Rollenbilder. Wie hat ein Mann zu sein und wie eine Frau. Es geht um die Verwandlung und das Auflösen dieser Rollenbilder des Mannes und der Frau, um das Mensch-Sein und Tier-Werden. Und es geht darum, wer weich ist und wer hart. Und welchen Wert hat Weichheit und welchen Wert hat Härte. Es geht um Geburt. Um Kinder. Und es geht um die grosse Liebe, meine Liebe zu meinen Kindern und die Liebe zu meiner Kunst.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Im Moment bin ich wieder auf der Suche und treibe etwas in meinen eigenen Gedanken umher. Ich versuche herauszufinden, wo in meinem Körper meine Kunst entsteht, das ist verbunden mit einem Auftragstext, und dann versuche ich aber auch, der Romanfigur Ruth, die in der Vermengung bereits vorkommt, weiter zu folgen. Ich habe das Gefühl, sie hat noch nicht alles gesagt und gelebt, was es zu leben und sagen gibt.
Manchmal kommt es mir vor als gäbe es zwischen meinem Schreiben und mir eine Plexiglaswand. Und ich hinterlasse Fingerabdrücke und Stirnabdrücke an ihr. Sonst nichts.
Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Den Ort meiner Kunst zu finden, das muss ich tun, denn mein letztes Buch die Vermengung hätte eine Poetik und damit eine Doktorarbeit werden sollen, daraus ist aber die Vermengung geworden, darum muss ich nun noch die Poetik schreiben.
Das Thema, wie jemand in die Gesellschaft passt oder nicht, war auch schon Thema des ersten Buches. Auch die Mutterschaft und das Frau-Sein.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Mit einem Gefühl der Dringlichkeit. Mit einem Gefühl der Versöhnung. Mit eine Gefühl der Ruhe auch. Das Buch ist in einer Zeit entstanden, in der es sehr ruhig war. Mit einem Gefühl der Ehrlichkeit. Der Einfühlsamkeit, aber auch der Wut.
Und ich habe das Gefühl, diese Wut, die nehme ich in das nächste Buch hinein.
Aber ich muss sie erst wieder entfachen. Flammen.
Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Ich habe das Gefühl, dieses Buch muss man mehr fühlen als verstehen. Es ist sehr verschlungen und hat viele Ebenden. Um diese wirklich fassen und verstehen zu können, braucht es ein Gefühl, das einen trägt. Ich hoffe, dass das vielen Menschen gelingt. Bis jetzt habe ich auch viele sehr berührende, persönliche Rückmeldungen erhalten. Meine Freundin und Autorin Gianna Molinari meinte, sie dachte beim Lesen des Manuskriptes, man können zwischen die kurzen Abschnitte im Buch immer die eigene Geschichte reinlegen. Das finde ich ein schönes Bild.
In den Besprechungen des Buches wurde der Fokus sehr stark auf die Mutterschaft gelegt, was ich verstehe, was ich aber auch ein bisschen schade finde, weil da noch mehr drin ist.
Wie würdest Du es einordnen in der Reihe Deiner Publikationen?
Mein zweites Buch. Eine Mischung aus Fiktion, Autofiktion und Poetik. Ein sehr persönliches Buch.
Julia Weber, »Die Vermengung«,
Limmat Verlag, Zürich 2022, geb., 352 Seiten.