Geltung, Drang, Familie

Entre nous, Zora del Buono!

Zora, wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Meistens in bequemen Sesseln: jenem in meiner Wohngemeinschaft in Berlin, dem meines Cousins in Ljubljana, dem in meiner winzigen Wohnung in Zürich, am liebsten im Sommer bei offenen Fenstern, wenn das Schwatzen der Gäste des italienischen Restaurants im Haus wie ein südliches Versprechen zu mir hochdrang, morgens in der Halle des Hotel Waldhaus in Sils-Maria, und immer wieder in der Deutschen Bahn. Korrigiert und umgeschrieben und nachgeschlagen, also das Feintuning besorgt habe ich jeweils am Schreibtisch in Berlin – meine Lieblingsarbeit.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
In «Die Marschallin» geht es um den Versuch, herauszuschälen, wie Familienstrukturen entstehen. Ob es Familienschicksale gibt. Ob man diesen entkommen kann oder ob man die Neurosen, Ängste, Ideale der Vorfahren unbewusst übernimmt und weitergibt. Um Weltpolitik und darum, dass wir immer nur Kinder unserer Zeit sind. Um eine schillernde Frau mit ungeheurem Gestaltungsdrang, die an ihren eigenen Ansprüchen scheitert, also um meine Großmutter, deren Name ich trage. Um Großzügigkeit und Güte, Macht und Kälte. Und immer wieder um meinen eigenen Sehnsuchtsort, der unwiederbringlich verloren ist: den Palazzo meiner Großeltern im süditalienischen Bari.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Wie mehr Gerechtigkeit hergestellt werden kann.
Die Endlichkeit der Menschheit.
Wie nicht verzweifeln angesichts des Elends, das Menschen anrichten?
Immer wieder: Tiere und Bäume und Hochebenen.
Aufgrund persönlicher Lebensumstände: Umgang mit Demenz.
Klavierspielen.
Alleinstehende. Also Solitäre, vor allem weibliche, solche, die man früher Fräulein nannte. Sie sind die Heldinnen meines nächsten Romans.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Die Bäume traten in mein Leben, als ich vor einer alten Eiche in South Carolina stand und mir bewusst wurde, dass sie schon vor Columbus lebte, da wusste ich: Ich will ein Buch über alte Bäume schreiben (was ich dann auch tat). Seit jenem Tag denke ich über Bäume nach. Demenzbegleitung kam gezwungenermaßen zu mir – der anstrengende und traurige Part meines Lebens. Als Ausgleich dazu habe ich das Klavierspiel begonnen. Auch anstrengend, aber hocherfreulich und dank meiner beiden Klavierlehrer – eine Deutsche in Zürich, ein Schweizer in Berlin – oft sehr lustig, Erfolg und Misserfolg liegen so nah zusammen und sind, wie das meiste im Leben, am besten mit Humor zu ertragen. Die anderen Themen, also Gerechtigkeit und Nachdenken über die Menschheit, das Menschsein, über Schuld und Verantwortung, sind Leitmotive meines Schreibens. Die Idee, über alleinstehende Frauen zu schreiben, kam mir durch die Figur der Otilija in «Die Marschallin», ein klassisches Fräulein. Und durch meine verstorbene Tante Anni, zeitlebens alleinstehend und putzmunter.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Diffus warmen. Eigentlich tauchen mehr die Bilder von den Reisen zu den Schauplätzen auf als die Erinnerung an das Schreiben.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Interessant ist, ob das Buch mehr als Biografie einer Frau gelesen wird oder als Zeitgeschichte.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Schon lange, bevor ich zu schreiben anfing (und ich fing spät an, mein erstes Buch erschien, als ich 45 war), dachte ich: Die Geschichte von Zora und Pietro Del Buono, meinen glamourösen Großeltern, müsste erzählt werden. Als ich dann Bücher schrieb, dachte ich: Die Geschichte von Zora und Pietro Del Buono und Josip Broz Tito müsste erzählt werden. Und als ich schließlich mit der Recherche begann, wurde Tito zu einer Nebenfigur und etwas ganz anderes schob sich in den Vordergrund, das Familiengeheimnis nämlich, das mit Schuld zu tun hat. Erst nach Abschluss des Manuskripts merkte ich, dass vier von meinen fünf Romanen dieses Thema zugrunde liegt: familiäre Schuld. Ich habe es offenbar unbewusst umkreist. Jetzt, wo das Geheimnis gelüftet ist, stellt sich natürlich die Frage: Wie weiterschreiben ohne diesen unbewussten Antrieb? Insofern ist dieses Buch ein Abschluss von etwas.


Zora del Buono, «Die Marschallin»,
Roman, C.H. Beck, München 2020, geb., 382 Seiten.

using allyou.net