Sag mir, wen du liebst

Entre nous, Martin R. Dean!

Martin, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Im Zug und im Auto, unter Bäumen und am Fluss, am Esstisch im Gespräch mit Freunden, vor dem Fernseher und im Kino. Auf Partys und im Selbstgespräch im Fitnessraum. Konzipiert habe ich den Roman in der Stunde der Dämmerung, im Morgengrauen, wenn die Gedanken langsam die Realität des Körpers auslöschen und in einer Klarheit aus dem Halbbewusstsein auftauchen, die etwas Epiphanisches hat. In dieser Stunde habe ich die Figuren des Romans gesehen und den Verlauf ihrer Geschichten und zugleich geahnt, dass ich nur einen Bruchteil davon aufs Papier werde retten können. Was dann am Schreibtisch geschah.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
«Warum wir zusammen sind» beschreibt die Geschichte von sechs Paaren im Zeitraum zwischen Millenniumssilvester 1999 und der Ankündigung des Brexit 2016. Es sind Paarläufe und Soloeinlagen von Singles, die in einer zunehmend unsicheren, instabileren Welt zurecht zu kommen versuchen. Die Bankenkrise steht bevor, die Populisten gewinnen allmählich an Macht, Flüchtende aus den globalen Kriegen treffen in Europa ein, und die Digitalisierung der Wirklichkeit schreitet voran. Der Roman versucht nicht herauszufinden, warum die Paare zusammen sind, sondern beschreibt ihr Zusammensein zwischen Utopie und Realität. Lieben heisst, in die Welt einzutauchen, und diese Welt mit ihren politischen Verwerfungen, ihren gesellschaftlichen Zumutungen und ihren klimatologischen Veränderungen bestimmt auch das Lieben. Das Buch hat die Form eines Triptychons; der erste Teil spielt 1999, der Hauptteil 2010 und das Ende kommt 2016.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Die Liebe, Liebesgeschichten, die immer auch Glücks- und Unglückserfahrungen, aber auch Geschichten von Grenzüberschreitungen sind, interessieren mich am meisten. Daneben – und beide Themen gehören für mich zusammen – ist es das Verhältnis von Nähe und Fremdheit, also vom Anderen und Eigenen, die das Leben meiner Figuren bestimmt. Die Erzählungen instabiler Identität – oder wie man sich verliert und wiedergewinnt. Wie man sich selbst lebt und den Zuschreibungen entgeht. Beziehungen sind kulturellen Strömungen ausgesetzt, wir lieben heute anders als vor hundert Jahren. Dass man in jedem Jahrhundert anders geliebt hat, fasziniert mich.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Beide Themen, «Liebe» also auch «Identität», sind seit meinen ersten Büchern da. Bereits «Monsieur Fume» war ein Eheroman, erst recht «Die Ballade von Billie und Joe», die Geschichte einer verzehrenden Leidenschaft, «Ein Koffer voller Wünsche», wo die Fremdheit zwischen den Liebenden steht, und eine Vierecksgeschichte beschreibt auch «Falsches Quartett».
Alle meine Bücher messen diese Differenz zwischen dem Natürlichen und Kulturellen, also zwischen dem, was man ist und dem, was man sein könnte, aus.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Leider vergesse ich immer zu schnell, wie glücklich, wie geschützt gegen die alltäglichen Zumutungen ich während des Schreibens war.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Erwartungen nicht, aber die Hoffnung, der Frage nach dem Autobiografischen in meinem Buch entgehen zu können. Diese Frage ist labyrinthisch und letztlich banal. Welcher Schriftsteller hat seine Stoffe nicht aus seinem Er-Leben? Es kommt doch darauf an, wie er sie behandelt.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Bücher sind wie Kinder, man liebt sie alle, aber jedes auf seine Weise. «Warum wir zusammen sind» ist für mich so etwas wie die Summe des Lebens und Liebens der letzten Jahre. Ein Hauptmotiv, das plötzlich in dem Teppich, an dem man über die Jahre knüpft, überdeutlich aufscheint und all die anderen Bücher, die man geschrieben hat, in ein neues Licht rückt.

Martin R. Dean, «Warum wir zusammen sind», Roman,
Jung und Jung, Salzburg und Wien 2019, geb., 360 Seiten.

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