Metier des Menschen
Entre nous, Alexandru Bulucz!
Alexandru, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Die Niederschrift von «was Petersilie über die Seele weiß» begann in Frankfurt am Main, irgendwann im Jahr 2016 nach der Publikation meines Lyrikdebüts, in meiner Frankfurter Wohnung, einem denkmalgeschützten Pfarrhaus, in dem ich noch gewohnt habe bis September 2019, als ich familienbedingt endgültig nach Berlin umgezogen bin, wo ich seit 2018 gemeldet bin. Also: in den Frankfurter Universitätsgebäuden, in den Frankfurter Bibliotheken (Uni-Bibliotheken, Deutsche Nationalbibliothek), in der Berliner Staatsbibliothek, in Tegel auf der Terrasse nachts, wenn mein Sohn eingeschlafen war, im Bett oder besser: in Betten mit dem Laptop im Schoß, in Chemnitz, Feltham und Rotterdam (drei Orte, an die wir – die Redaktion einer Zeitschrift, deren Mitherausgeber ich einmal war – die Arbeit für jeweils etwa eine Woche verlagert hatten). Und Gott weiß wo noch sonst: Schreiben ist ja auch ein gedankliches Schreiben an Ideen, wofür man keine materiellen Schreibwerkzeuge braucht.
Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Das ist schwierig zu sagen, denn meine Gedichte, die nicht übermäßig lang sind, werden von keinem homogenen Plot zusammengehalten. Vielleicht darf ich Stefan Schmitzer zitieren, der meinen neuen Gedichtband kürzlich besprochen hat, eine Besprechung, in der es eine – auch für mich – äußerst aufschlussreiche Passage gibt: «Ganz klassische Versmaße, Reimschemata und Strophenformen werden hier nicht einfach verwendet oder angespielt, sondern (…) im vollen Bewusstsein ihrer Implikationen gesetzt – paradoxerweise ist so just in einem Gedichtband, der die Möglichkeit und Drohung des Vergessens zentral behandelt, die Tiefe des materiellen Gedächtnisses der Form stets präsent.» Wie soll ich sagen: Ich fühle mich verstanden! Oder anders: Es ist, als ließe ich Form (Muskelgedächtnis) und Inhalt (Demenz) aufeinander los. Die werden meine Gedichte schon zwischen und unter sich ausmachen. Also: Es gibt im Leben Zäsuren, affektive, geografische etc., es gibt Versäumnisse, Enttäuschungen, Schmerz, Aha-Momente und solche des Glücks. Wie kann ich sie mithilfe der Form des Gedichts festhalten? Indem ich mich zum Beispiel der Schmerzikonografie des Isenheimer Altars annähere: Bei der Betrachtung des Isenheimer Altars, mit dem sich im Gedichtband zwei Gedichte auseinandersetzen, komme ich zu dem Schluss, dass Grünewalds Schmerzikonografie es schafft, ihren Auftraggeber – das Christentum – zu transzendieren. Was meine ich damit? Der Isenheimer Altar war für die Kirche eines Antoniter-Spitals (des Antoniter-Ordens) bestimmt, in dem vor allem an Mutterkorn Erkrankte behandelt wurden. Sie sollten in Grünewalds Schmerzdarstellungen Trost und Hoffnung finden. Der Isenheimer Altar ist also aus einem christlich-institutionellen Fürsorgeimpuls heraus entstanden und voll von christlicher Symbolik. Doch er ist für jedermann bestimmt, nicht nur für Christen: Man muss nicht die Bibel kennen, um von der Schönheit des dargestellten Schmerzes und Leidens erschlagen zu sein und eingenommen zu werden. Was darauf zu sehen ist, ist der säkulare Ausdruck von Universalgefühlen und von bestimmten Rahmenbedingungen, in denen Menschen verdammt sind, sich aufzuhalten: wie Armut, Hunger und Krankheit. Und das will ich noch sagen: Es geht um die (für mich attraktive und produktive Gemütsverfassung der) Bitternis der Ichs über den Verlauf des Lebens, das sich an alles anpasst. Wirklich an alles. Denn jenseits dessen ist nur der Tod, meinetwegen durch Selbstmord. Der Mensch ist ein Assimilationstier, und zu seinen Hauptprämissen gehört die schlimmste Relativierung: «Es hätte schlimmer kommen können.» Nie steht die Welt still. Nicht einmal auf dem Höhepunkt einer Totenklage. Was bleibt einem in den meisten Fällen im Gedächtnis?! Doch eher die Fragen als die Antworten, doch eher die Phantomschmerzen eines einmal wirklich dagewesenen Schmerzes als die Heilungen. Trotzdem sind meine poetischen Rückschauen auch Danksagungen.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Ich denke, diese Frage lässt sich in meinem Fall ähnlich beantworten wie die Frage Nummer 2. Ich weiß nicht, ob ich ein «zurzeit» kenne. Eher ein «schon immer». Alles, was thematisch neu hinzukommen wird, wird zum Themenkomplex «Trauer» – ein weiteres Schlagwort! – gehören. Wird Rand oder Auslauf dieses Themenkomplexes sein. Denn über allem steht das Interesse am Menschen in seiner existenzialen Not. Mein Metier ist die Anthropozentrik. Und wenn man es akademisch haben will: die Humanities.
Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv Deiner Arbeit?
Eher Leid-Motiv, wie ich es in einem meiner Gedichte nenne. Dieses Leid-Motiv hat sich in meiner gedanklichen und geografischen Distanz zu meiner dreizehnjährigen Kindheit in Rumänien gebildet. Meine erwachsenen Ichs sind, wenn man so will, verlängerte (später durch Anderes angereicherte) Leidtragende dieser Kindheit und entdecken stets Muster in sich, die ihnen dort anerzogen wurden.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Mit gemischten natürlich. Die Zeit, ein neues Buch zu beginnen, ist noch nicht gekommen, und man leidet darunter wie ein Hund. Noch schiele ich dem Feedback hinterher. Bisher ist es spärlich. Gerade die persönlichen Feedbacks würden mich interessieren.
Hast Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Nein. Es genügt mir vollkommen, wenn jener oder jene sich von einem einzigen Gedicht unter den zig Gedichten des Bandes angesprochen fühlt. Und: Mich interessieren die Fehllektüren, die meine Text-Absichten sozusagen transzendieren.
Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Ist das nicht auch schon beantwortet?! Ich schreibe doch immer dasselbe, meine Variablen sind konstant.
Alexandru Bulucz, «was Petersilie über die Seele weiß»,
Gedichte, Schöffling & Co., Frankfurt/M. 2020, geb., 120 Seiten.