Mit aufgerissenem Brustkorb
Entre nous, Anna Baar!
Anna, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
In Klagenfurt und Wien vor allem, wie immer ohne Schreibtisch, nur ein Brett auf den Knien. Erste Notizen zu «Als ob sie träumend gingen» sind auf der Insel Brač entstanden, einige auch auf meiner Reise durch Persien.
Worum geht es, Deiner Meinung, nach in Deinem Buch?
Ich bin keine «Plotterin» und tue mich schwer, diese Frage zu beantworten. Vielleicht lässt sich sagen: Es geht um Leben und Tod, Liebe und Hass, Krieg und Frieden und so weiter – die großen Fragen im Kleinen. Der Held der Geschichte kehrt als Held bejubelt von den Schlachtfeldern des Kriegs ins Dorf seiner Kindheit zurück. Der Krieg ist gewonnen – und doch hat er alles verloren, stellt fest, dass angesichts der herrschenden Gesellschaft mit all ihren Zuschreibungen und Tugendgeboten die Lüge mehr Ordnung schafft als die Wahrheit. Es geht um die Frage: Was schulden wir anderen, was uns selbst? Aber eigentlich will ich gar nicht über Themen und Handlung reden, weil es zuallererst um die Sprache geht. «Als ob sie träumend gingen» ist ein Versuch, ein Sprachversuch. Es kommt alles sehr biblisch daher, tranceartig, berauscht.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Die Liebe, grundsätzlich und dauernd. Da sehe ich zuerst meine Kinder und die, die sonst noch um mich sind, auch als Ahnen gewissermaßen noch um mich und in mir sind, dann in einem weltumfassenden Sinn alle Menschen, Lebewesen. Es geht auch ums Geliebtsein – und da stört es mich, ausgerechnet in dieser Hinsicht so bedürftig zu sein, so unfrei. Dazu kommt die Arbeit, die Frage, was und wie ich es mache, was andere tun, wie sie es tun, was ich lernen kann. Und das Kämpfen, weil einem ja wenig geschenkt ist. Ja: Lieben, Arbeiten, Kämpfen. Das Weltgeschehen dämmert da natürlich immer hinein.
Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Als Themen nicht neu, aber in den Variationen oft so erstmalig und überraschend, dass ich mich immer wieder als Neuling sehe, wo ich mich schon weiter glaubte.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Ich frage mich mit freundlichem Selbstmitleid, was mich da wieder geritten hat. Wie mein ganzes Leben ist mein Schreiben voller Irrgänge und Bogenwege, manchmal ein elendslanges Im-Kreis-Gehen, dann wieder ein Zurückfallen. Nichts ist vorsätzlich. Das Tagwerk besteht mitunter nur aus der Zerstörung von Vorhandenem. Dazu kommt ein angeborener Hang, aufs Ganze zu gehen. Dann stehe ich jedes Mal mit aufgerissenem Brustkorb da und alle können reinschauen. Am Ende geniere ich mich dafür. Auch jetzt. Wahrscheinlich ein Gefühl irgendwo zwischen Scham und Stolz.
Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Dass es mit der nötigen Aufmerksamkeit und Anstrengung gelesen wird, dass es verstanden und gemocht wird – das sind die Hoffnungen. Wahrscheinlich ist, dass die Sprache zur Sprache kommt, dass man sie mir glaubt und zugutehält oder eben ankreidet als Maskerade, als antiquierten Kitsch oder sogar als gemeinen Bluff. Dann kommt natürlich die Frage, warum nichts eindeutig und klar benannt ist, nicht Ort, nicht Zeit, nicht einmal die Protagonisten. Das halten manche nicht gut aus jetzt, wo die Forderung nach Klartext und Einfachheit überhandgenommen hat und alles mundgerecht und schluckfertig aufgetischt werden soll, weil sich die wenigsten beim Lesen noch was antun wollen. Nicht einmal mehr kauen wollen. Aber genau darum ist es mir gegangen: Ich wollte keine Verortung und Verzeitung, keine abgenutzten Begriffe und Namen, weil die das Denken und Verstehen in die ausgetretenen Bahnen lenken, wo ein Text dem Leser nichts mehr anhaben kann, wo der Leser in seinem Vorurteil bleibt und ihm die Erfahrung des tieferen Erkennens, Ahnens und Staunens versagt ist. Diese tote Bildhaftigkeit der gebräuchlichen Begriffe ist mir unheimlich. Da halte ich es mit Rilke: «Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort (...) Sie sprechen alles so deutlich aus. » Die Staunenden sind ja weiser als die Wissenden. Und wenn man nicht mehr staunt, ist es das Ende von allem.
Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Es wird neben meinem ersten Roman stehen.
Anna Baar, «Als ob sie träumend gingen», Roman, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, erscheint am 31. Juli 2017, geb., 208 Seiten.