Wie tagträumen
Entre nous, Volker Kaminski!
Volker, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
In der Badewanne – oder etwa nicht? Obwohl ich Lems «Memoiren, gefunden in der Badewanne» toll finde, muss ich zugeben, dass ich meinen Roman «Rot wie Schnee» doch eher am Schreibtisch geschrieben habe, mit Blick auf grünes Geäst vor dem Fenster. Aber in die Badewanne und auch sonst überallhin verfolgten mich die kreisenden, wühlenden Gedanken während des Entstehungsprozesses, und viele Einfälle sind mir wie immer nachts im Bett oder eben doch in der Badewanne gekommen.
Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Es geht um die Enträtselung eines großen, gemalten Tafelbildes, auf dem ein Siebzehnjähriger im tiefen Schnee zu sehen ist. Der Schnee ist teilweise rot gefärbt und die Szenerie stellt einen Flüchtlingstreck aus dem Zweiten Weltkrieg dar – doch halt, so sicher ist das alles nicht, wird dem Maler Tom Lautenschläger nach und nach klar. Wen habe ich da eigentlich gemalt? fragt er sich, etwa meinen Vater im Winter 1945 auf der Flucht? Zum Glück muss Lautenschläger all diese Fragen nicht allein beantworten, in seinem Atelier steht ihm z. B. sein Vater persönlich Rede und Antwort – und das, obwohl der Vater schon gestorben ist. Das Thema hinter der Story ist die Betroffenheit der Familien von prägenden Kriegs- und Fluchterlebnissen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg zum Teil bis in die dritte Generation hinein. Aufgewachsen in Sicherheit und relativem Wohlstand werfen die Erfahrungen der Eltern ihre Schatten auf die nachwachsende Generation.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse, interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Grundsätzlich interessiert mich (neben all den spannenden und auch beunruhigenden Themen aus den Medien, die es täglich zu rezipieren gilt), wie gute Geschichten funktionieren, die ich zum Teil lese, zum Teil zu schreiben versuche. Die Themen können sehr vielfältig sein, in gedruckter Form müssen Geschichten aber vor allem eins: berühren, aufregen, verstören und sich bei den Lesern festhaken.
Sind sie für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Ein immer wiederkehrendes Leitmotiv meiner Arbeit ist die Künstlerschaft. Der Maler eines Bildes, der Schöpfer eines literarischen Textes, der Schauspieler oder – wer weiß – der Tänzer: Sie alle führen dieses spezielle, täglich um Form und Ausdruck bemühte Leben. Von Ernst Bloch stammt der Ausspruch: «Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.» Gut und schön, doch all die Freiberufler und Kreativen, von ihrer Arbeit Besessenen wünschen sich natürlich ihr Ziel zu erreichen, aber die Gefahren sind groß, der Lebensweg ist riskant. – Darüber hinaus ist das Vaterthema eines, an dem ich mich immer wieder abarbeite. Vielleicht kann ich es nach dem neuen Buch auch mal ruhen lassen.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Ich denke an die schöne Zeit in der Badewanne … Ach ne, es war der übliche mühsame Schwimmprozess, Zug um Zug, und immer die Bahn halten und nur nicht untergehen. Mein neuer Roman «Rot wie Schnee» lief aber verhältnismäßig glatt, und ich hatte auch ein paar gute Freunde, die das Manuskript lasen und mir wertvolle Tipps gaben, darunter zwei Maler.
Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an seine Rezeption?
Ich bin vor allem gespannt, wie die LeserInnen den Transfer vom gemalten Bild in die literarische Sprache erleben. In Toms Atelier entstehen im Lauf des Romans ja mehrere Bilder, die mit seiner Familie und der eigenen Geschichte zu tun haben, und ich fand es besonders reizvoll, diese – ja unsichtbaren – Bilder möglichst lebendig werden zu lassen, so dass die Phantasie der Leser aufgefordert ist, sie sich konkret vorzustellen. Wenn diese Bilder in die Gedanken- und Vorstellungswelt meiner Leser hineinwandern, dann bin glücklich. Ich hoffe daneben auch, dass die Leser die Geschichte spannend finden, da es ja um ein Rätsel geht, das von der Hauptfigur gelöst werden muss.
Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Bücher?
Es fügt sich gut in die Reihe meiner bisherigen Romane ein, vor allem die Mischung aus Realismus und Phantastik ist etwas, das ich von Anfang an so betrieben habe. Mein Schreiben steht in der Tradition der Romantik, mit der ich mich schon mit sechzehn intensiv beschäftigt habe. Die Elemente des Übersinnlichen und Wunderbaren füge ich aber dezent ein, so dass die Geschichte selbst immer realistisch und zeitgenössisch bleibt. Dass dem Maler der tote Vater über die Schulter schaut, um ihm zu soufflieren und seine Arbeit zu lenken, kommt mir gar nicht so unwahrscheinlich vor. Das ist einfach wie tagträumen in der Badewanne.
Volker Kaminski, «Rot wie Schnee», Roman,
Verlag Wortreich, Wien 2016, geb., 238 Seiten.