Brasilianisches Berlin
Zum Sammelband «Sehnsucht ist ein verdorbenes Wort»
Die Olympischen Sommerspiele London 1948, Giani Stuparich tritt für Italien an – und gewinnt Gold. Man weiss nicht genau, wie lange er für diesen Triumph trainiert hatte, auch bleibt im Dunkeln, was genau er dafür trainiert hat. Dasselbe gilt für den Silbermedaillen-Gewinner Josef Petersen aus Dänemark und die Ungarin Éva Földes, die Bronze errang. Ein gemischter Wettbewerb also, einer in: Erzählender Prosa!
1948 wurden Medaillensätze auch etwa für Lyrik, Architektur, Gesang, orchestrale Werke, Ölmalerei oder Plastik vergeben. Das ist nun, da Rio 2016 auf vollen Touren läuft, undenkbar geworden – dafür wird die brasilianische und deutschsprachige Leserschaft in diesem Sommer mit einem schmalen, inspirierenden Band beglückt. Saudade é uma palavra estragada / Sehnsucht ist ein verdorbenes Wort versammelt Lyrik und Prosa von zehn brasilianischen Autorinnen und Autoren, die seit längerem in Berlin leben und sich zum Círculo Literário de Berlim zusammengefunden haben.
Der zweisprachige Band zeugt von der Liebe zu den Zwischentönen und dem, was man ungefähr nennen könnte; ein Merkmal vielleicht nicht nur der brasilianischen Literatur ist die poetische Scheu, die Dinge benennen zu wollen. Die Andeutung, der Zweifel auch, die Möglichkeit der Möglichkeit – in diesem von der Berliner Schriftstellerin Tanja Langer mit Sorgfalt herausgegebenen und von Maria Herrlich (Grafik) und Ciça Camargo (Zeichnungen) kongenial illustrierten Buch schreibt Luiza Costa Becker (übertr. v. Christiane Quandt): «Erfüllt von freudigen Affekten, / Inmitten einer Explosion von Düften, / Eines Kaleidoskops voller Farben und Liebe, / finde ich mich in einem Seufzer wieder. / Die Sehnsucht, die ich fühle, / Ist die Sehnsucht nach der Weltenseele!»
Perikles Monioudis
«Saudade é uma palavra estragada / Sehnsucht ist ein verdorbenes Wort», div. Autorinnen und Autoren, Hrsg. Tanja Langer, Bübül Verlag,
Berlin 2016, brosch., 104 Seiten.